Märchen und Fabeln

Es gibt bei den Grimm‘schen Märchen einige, die in der Region eine abweichende Handlung hatten. So z.B. das Märchen:

"Der Fuchs und der Wolf"

Die Handlung in der Grimm‘schen Version verläuft in etwa so:

Der Wolf trifft auf den Fuchs und sagt zu ihm „Gevatter, ich hab Hunger. Geh` und besorg mir etwas oder ich schlag dich tot“. Der Fuchs läuft zu einem Bauernhof und stiehlt dort ein Huhn, das er dem Wolf bringt. Am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel. Der Fuchs muss dem Wolf wieder etwas zu essen besorgen und alles was er bringt, ist dem Wolf stets zu wenig. Eines Tages sagt der Fuchs zum Wolf: „Isegrimm, ich kenn‘ da einen Bauernhof, wo der Bauer frisch geschlachtet hat. Da ist reichlich Futter vorhanden. Wenn du willst, dann zeig ich es dir und du kannst dich so richtig satt essen. Der Wolf willigt natürlich ein und so gehen die beiden nachts zum Bauernhof. Im Keller, wo sich das Geschlachtete befindet, ist ein Loch in der Wand, durch das beide in den Keller gelangen. Der Wolf stürzt sich sofort auf das Fleisch und verschlingt Stück für Stück. Der Fuchs aber frisst immer nur ein wenig und springt zwischendurch immer wieder durch das Loch nach außen, um zu sehen, ob er noch dadurch passt. Dem Wolf fällt dies auf und er fragt den Fuchs, was er denn da tue. Der Fuchs erwidert „Ich will sehen, dass uns keiner entdeckt und wenn doch, damit wir Reißaus nehmen können. Der Wolf ist beruhigt und frisst weiter. Durch das ständigen Rein- und Rausspringen wird der Bauer wach und geht in den Keller, um nach dem Rechten zu sehen. Als die beiden dies merken, springt der Fuchs zuerst durch das Loch in die Freiheit und läuft weg. Der Wolf aber hat sich so dick gefressen, dass er im Loch stecken bleibt. Der Bauer holt einen Knüppel und verhaut den Wolf ganz fürchterlich. Als dieser dann endlich freikommt, humpelt er stöhnend und unter Schmerzen in den Wald. Dort angekommen, erzählt er dem Fuchs, was ihm passiert ist und wie er blitze- blau geschlagen wurde. Der Fuchs sagt darauf hin „Das geschieht dir Recht, was bist du auch nur für ein Nimmersatt“.

Die Handlung in der Waldeckischen Version ist dagegen etwas anders. So hält Charlotte Oberfeld in ihrem Buch „Märchen des Waldecker Landes“* das in Mundart von dem Landauer Heinrich Lüttecke erzählte Märchen „De Voss un de Wulf“ fest.

Die ersten Sätze in Mundart **:
Et woor emmool en buure, dee woor düchtig riike. Düsse buure hadde en graut huus, un an den siiden det huuses hadde hei twei gäuseställe, un hinger den gäuseställen ennen keller, un do woor en tiemlikk graut loch drinne. Düsse buure hadde den Keller ganz vull fleischk, butter, milk un süss nach läwensmiddel. ……. [ganze Geschichte in Mundart]

Es war einmal ein Bauer, der war ganz reich. Dieser Bauer hatte ein großes Haus, und an den Seiten des Hauses hatte er zwei Gänseställe, und hinter den Gänseställen einen Keller, und da war ein ziemlich großes Loch drin. Dieser Bauer hatte den Keller ganz voll Fleisch, Butter, Milch und sonst noch Lebensmitteln. Es war das Jahr ein träges Jahr, so dass die Dortigen nicht viel zum Leben hatten. Sie gingen überall hin und schauten in die Ecken; auf einmal kam ein Fuchs des Abends in den Keller des Bauers. Er kroch durch das Loch hinein und fand dort alles gut aufgedeckt. Er schmauste tüchtig, probierte aber jeden Augenblick, ob er auch wieder aus dem Loch herauskäme. Wenn er noch durch das Loch passte, kehrt er zurück in den Keller und fraß noch etwas. Als er genug gegessen hatte, ging er am Abend fort. Den nächsten Abend tat er es ebenso und so ging es eine ganze Zeit lang.
Eines Tages begegnete ihm ein Wolf. Der sagte zu dem Fuchs „Guter Freund, weißt du nichts zu essen für mich? Ich bin so hungrig“. Der Fuchs entgegnete „Ich weiß da wohl was, aber da bekommst du nichts von, das will ich lieber alleine essen. Der Wolf aber ließ nicht locker, bis der Fuchs ihn mitnahm. Wie sie nun zu dem Keller kamen, da ging der Fuchs vorweg durch das Loch und der Wolf folgte ihm nach. Als der Wolf sah, dass da ein guter Vorrat war, da ließ er sich nicht hindern und fing an zu fressen. Der Fuchs aber probierte immer, ob er noch durch das Loch passte. Der Wolf kehrte sich aber um nichts und hielt sich immer ans Fressen, bis er dann so dick war, dass er zu dem Fuchs sagte: „Na guter Freund, jetzt bin ich aber so dick, wie ich schon lange nicht gewesen bin“. “Na, das freut mich“, gab ihm der Fuchs zur Antwort und sagte: „Dann wollen wir auch wieder gehen“. Der Fuchs sprang durch das Loch in der Kellerwand und lief fort. Dann kam auch der Wolf mit dem Kopf durch das Loch und zwängte sich mit seinem Körper so fest, dass er weder hinterrücks noch vorwärts hinauskam. Der schlaue Fuchs dachte: „Halt, jetzt willst du ihn aber einmal dran kriegen und ging zu dem Gänsestall, wo er dann anfing zu rasseln (lärmen), so dass die Gänse anfingen zu kreischen. Dem reichen Bauern seine Frau sagte: „Mann, ich glaube uns werden Gänse gestohlen“. „Oh, du dumme, das glaub ich nicht“. „Doch, doch“, sagte die Frau, „steh noch mal auf und schaue nach!“ Wie der Bauer aufgestanden war, sah er keine Menschenseele, denn der Fuchs war weggelaufen und er legte sich wieder ins Bett. Als er nun eine Weile gelegen hatte, da hörte man auf einmal ein Brummen in dem Keller, dass allen im Haus bange wurde. Da standen allesamt auf und gingen in den Keller, um zu sehen, was da war. Wie sie nun in den Keller kamen, da war ein Wolf in dem Kellerloch, der konnte nicht raus und auch nicht rein. Sie liefen geschwind heraus und der eine holte sich eine Greipe, der andere eine Mistgabel und die übrigen hatten alle Knüppel. Und alle schlagen auf den armen Wolf ein, dass er vor Schmerzen anfängt zu rufen: „Lasst mich doch gehen, ich will es auch nicht wieder tun“! Aber sie schlugen immer noch auf ihn drauf, bis sich der arme Kerl endlich aus dem Loch herausgezwängt hatte und fortlief.
Den anderen Tag begegnete ihm der Fuchs, zu dem er sagte: „Ich habe mich gestern Abend wohl satt gefressen, aber was habe ich dafür leiden müssen. Sieh dir mal meinen Rücken an, den haben mir die falschen Leute ganz kaputt geschlagen“. Der Fuchs lachte und saget: „Du siehst jetzt wohl, warum ich nicht so viel fresse“. Darum ist das Sprichwort wahr: Die Füchse sind schlauer als andere.

*Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck, von L. Curtze, Verlag A. Speyer, Arolsen 1860, S. 173 ff. Siehe auch: Märchen des Waldecker Landes, von Charlotte Oberfeld, Verlag N. G. Elwert Verlag Marburg, 1970
** Zur Mundart sei angemerkt, dass es im Waldeckischen ebenso wie im Hessischen nicht die Mundart gibt. „Gell, de Hesse babbeln“ im Süden ganz „anerschder als mer her owen an dor Edder“. Und so verläuft im Waldeckischen auch eine Sprachgrenze dies und jenseits der Eder – die „ick - ich Grenze“. Dies entspricht dem alten Grenzverlauf zwischen den Sachsen und den Franken. So ist Waldeck (Ortsteil) fränkisch, Sachsenhausen hingegen sächsisch. Die oben auszugsweise verwendete Mundart ist sächsischer Herkunft.



Das Märchen vom süßen Brei

Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie unsere Mutter uns Kindern Märchen erzählte. Ein Märchen davon habe ich ganz besonders gemocht und habe es später auch meinen Kindern erzählt.

Das Märchen vom süßen Brei gehört sowohl zu der Märchensammlung der Gebrüder Grimm als auch zu der Sammlung von „Märchen, Sagen, Volksreime, Räthsel, Sprichwörter, Aberglauben, Sitten und Gebräuche“ des Heimat- und Geschichtskundler Ludwig Curtze. Dieser hatte etwa Mitte des 19. Jh. Volksgeschichten gesammelt und in dem Buch „Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck“ in 1860 (Verlag von A. Speyer, Arolsen) veröffentlicht.

(Die folgende Original-Erzählung stammt aus Wildungen)
„Es war einmal ein armes frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein und sie hatten nicht mehr zu essen. Das Kind ging nun hinaus in den Wald. Da begegnete ihm eine alte Frau, die kannte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen; zu diesem solle es sagen: Töpfchen koch! so kochte es guten, süßen Hirsebrei und wenn es sage: Töpfchen steh! so höre es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte das Töpfchen seiner Mutter und nun waren sie aller Armut und allen Hungers los und aßen süßen Brei, so oft sie wollten. Das Mädchen war nun einmal ausgegangen, da sprach die Mutter: Töpfchen koch! da kochte es und nun aß sich satt. Dann wollte sie aber, dass das Töpfchen wieder aufhören sollte, aber sie wusste das Wort nicht mehr. So kochte es fort und der Brei stieg über den Topf hinaus und kochte immer zu, die Küche und das ganze Haus voll und selbst die Straße davor. Es entstand die größte Not und Niemand wusste zu helfen. Endlich, als nur noch ein einziges Haus übrig war, da kommt das Kind nach Hause und spricht nur: Töpfchen steh“ das steht es und hört auf zu kochen; aber wenn sie in die Stadt wollten, so mussten sie sich durch essen.“

Es war einmal eine Schlange gewesen, die hatte unter einem Steine fest gesessen; da kommt ein Bauer daher. Zu diesem sagt die Schlange, wenn er ihr los helfe, dann solle er auch haben was der Welt Dank sei. Da hilft der Bauer der Schlange los. Jetzt fragt sie ihn, ob er auch wisse, was der Dank der Welt sei? Als der Bauer antwortete, das wisse er nicht, da sagt sie, sie müsse ihm jetzt den Hals umdrehen, das sei der Welt Dank. Nein, sagte da der Bauer, dann müssten sie doch erst einmal weiter hören, ob das der Welt Dank sei. Jetzt gehen sie nun weg. Da kommen sie bei einen alten Gaul. Der Bauer fragt den: „Warum stehst du da“? Der alte Gaul sagt, er habe seinem Herrn so treu gedient und nun käme der Schinder und wolle ihn tot stechen, das wäre der Welt Dank. Da sagt die Schlange, ob er nun höre, was der Welt Dank wäre? Der Bauer aber sagte, er sei damit noch nicht zufrieden, sie wollten noch einmal weiter hören, was der Welt Dank sei. Na, da gehen sie nun wieder weiter. Jetzt kommen sie bei einem alten Windhund, der an einen Baum gebunden ist. Der Bauer fragt wieder: „Warum stehst du da“? Da antwortet der Windhund, er habe seinem Herrn so treu gedient, und nun kommt er und will mich tot schießen. Das ist der Welt Dank! Aber auch hiermit will der Bauer noch nicht zufrieden sein. Er sagt zum dritten Male, sie wollten weitergehen und hören, was der Welt Dank sei. Sie disputieren sich, mach aber doch noch einen letzten Versuch. Da kommen sie bei einen Fuchs, der fragt, was sie vor hätten? Der Bauer sagt: „Das geht dich nichts an, du kannst mir doch nicht helfen“! Der Fuchs aber antwortet: „Wenn du mir ein Huhn gibst, will ich machen, dass euer Streit ein Ende nimmt“. Der Bauer verspricht es. „Nun, dann kommt mit, sagt der Fuchs, und zeigt mir, wo die Schlange gesessen hat“. Als sie nun an den Platz kommen, wo die Schlange gesessen hatte, sagt der Fuchs, sie solle sich doch gerade wieder so hinsetzten, wie sie gesessen habe. Als sie und wider so sitzt, da stülpt der Fuchs den Stein wieder so auf sie, dass sie fest sitzt und sagt zum Bauern, so habe ihr Streit ein Ende und nun wollten sie gehen und das Huhn holen. Da gehen sie nun und wollen das Huhn holen. Der Bauer steigt auf die Hühnerhort in seinem Hause, der Fuchs aber bleibt auf dem Hofe stehen. Auf einmal fangen die Hühner an zu flattern. Da kommt die Hausfrau und sagt für den Fuchs: „Was willst du Teufel kommen und mit die Hühner aus dem Hause holen“? Sie schlägt dem Fuchs das Kreuz ein. Da sagt der Fuchs: „Nun weiß ich doch auch, was der Welt Dank ist. Ich habe dir so getreu helfen wollen und nun kommt deine Frau und schlägt mir das Kreuz ein“!

(Ludwig Curtze, "Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck")

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